Home

Um Jugend und Leben betrogen

Das bedrückende Schicksal von drei deutschen Teenagern im Mühlviertel zu Ende des zweiten Weltkriegs

Wieviel wert ist ein Menschenleben?
Limitation der Nachforschungen
Zu den Angaben auf der Grabtafel

Das Kriegsende in Eidenberg
Das letzte Aufgebot, Volkssturm und Hitlerjugend

Die drei Hitlerjungen
aus Sachsen:

Erich Erhard Brandt
Eugen Walter Menzel
Paul Martin Fritz Galle

Ungeklärte Fragen und Widersprüche:
Feststellung der Identität

Truppenzugehörigkeit
Die SS-Angehörigkeit
Desertion bei Traun
Schlussfolgerung

Das Waldgrab in der Kühhalt

Die Umbettung 1968
Die letzte Ruhestätte
Ein pikantes Detail am Rande
Schlussbemerkung
Danksagung



Das letzte Aufgebot, Volkssturm und Hitlerjugend

Anwerbeplakat der Waffen-SS, 1942

Anwerbeplakat der Waffen-SS 1942 Bildquelle: www.dhm.de/lemo/kapitel/zweiter-weltkrieg/kriegsverlauf/waffen-ss.html

Das Großdeutsche Reich hatte nach sechs Jahren Weltkrieg keine Soldaten mehr. So formierte man im Herbst 1944 aus alten Männern und Jugendlichen einen Volkssturm.60 Seit März 1939 gab es eine gesetzlich geregelte Jugenddienstpflicht, die alle Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren betraf und die an zwei Tagen pro Woche abgeleistet werden musste. Ziel waren körperliche und ideologische Schulung: Schon die Zehnjährigen sollten abgehärtet und langfristig auf den Kriegsdienst vorbereitet werden:
„Was sind wir? Pimpfe!
Was wollen wir werden? Soldaten!“(61)
Seit Anfang 1943 wurden Hitlerjungen als Flakhelfer eingesetzt, in den letzten Wochen des Krieges auch im Volkssturm. Für HJAngehörige richtete man aber auch eine eigene SS-Division „Hitlerjugend“ ein.(62) Die Hitlerjungen wurden massiv bedrängt, sich „freiwillig“ zur Waffen-SS zu melden.

Auch der Zeitzeuge Josef Dumfart wurde zum Eintritt in die Waffen-SS aufgerufen. Doch er entkam einem Kriegseinsatz, weil er auf dem elterlichen Bauernhof unabkömmlich war. Wie das Anwerben vor sich ging, schilderte Fritz Winkler in einem Bericht aus Rohrbach im Mühlviertel:(63)
In der Stadt Rohrbach bestanden zwei HJ-Ausbildungslager (HJ = Hitler-Jugend); eines im HJ-Haus und das andere im Barackenbereich des ehemaligen Russen-Gefangenenlagers. Der Schießplatz befand sich in Gollner. Mit einer scharfen Handgranate wurde eines Tages der Start zur Nachtübung eingeleitet: Lager 1 gegen Lager 2. Viele Fensterscheiben gingen in Trümmer. Nach dieser Übung wurde eine Werbung für den Eintritt in die SS in brutalster Weise von SS-Angehörigen veranstaltet. Wer andere Wünsche hatte, musst aus der Formation heraustreten. …

Ähnliche Erfahrungen berichtete Heinrich König aus München:(64)
Es war im Sommer 1944 – ich war damals 15 Jahre alt – als ich zu einer etwa 4-wöchigen Ausbildung als "Panzerknacker" (man könnte auch sagen: als Kindersoldat) befohlen wurde. Die Ausbildung fand in der Nähe von St. Heinrich am Starnberger See statt und wurde von verwundeten, zum Teil hochdekorierten (Ritterkreuz, Deutsches Kreuz in Gold) Unteroffizieren durchgeführt.

Wir lernten dabei den Umgang mit Panzerfaust und Panzerschreck, Haftladungen, Handgranaten, usw. Nach Beendigung der Ausbildung wurden wir wieder nach Hause entlassen. Wir wurden aber nicht zurück nach München gefahren, sondern mussten die ca. 40 Kilometer nach München mit dem Tornister auf dem Rücken marschieren. Später sollten wir in kleinen Gruppen verschiedenen Wehrmachtseinheiten zugeteilt werden. Kurz darauf erhielt ich eine schriftliche "Einladung" (mit Teilnahmeverpflichtung) zur Teilnahme an einer Werbeveranstaltung der SS. Die Veranstaltung fand an einem Samstag Vormittag im Hofbräukeller am Wiener-Platz statt. Nach mehreren Ansprachen von SS-Offizieren, in denen von "Endsieg", "Vaterlandsverteidigung" oder "Blut und Ehre" die Rede war, fragte der Versammlungsleiter in die Runde: Ist unter Euch vielleicht ein Feigling oder so ein Schweinehund, der in Kenntnis des soeben Vorgetragenen unserem Führer Adolf Hitler die Gefolgschaft verweigern und sich nicht freiwillig zum Dienst in der Waffen-SS "Division Hitlerjugend" melden will?

In den Flak-Batterien hielten sich permanent Werber für die SS auf. Hitlerjungen, die nicht ihre Unabkömmlichkeit bei der Flak unter Beweis stellen konnten oder den Werbungen der SS erlagen, wurden in die nächste SS-Rekrutierungsstelle verbracht.(65) Dem unfreiwilligen Eintritt in die Waffen-SS konnten sich die Hitlerjungen kaum entziehen, genauso wenig, wie die Mitgliedschaft in der HJ vermeidbar war, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.(66)

Genauso oder ähnlich könnte es auch den drei Hitlerjungen ergangen sein, die in Eidenberg den Tod fanden. Wenn sie tatsächlich die Schüsse auf die amerikanischen Panzer abgegeben haben, werden sie über die Sinnhaftigkeit und die Konsequenzen ihres Handelns nicht nachgedacht haben. Auch werden sie nicht überlegt haben, wofür sie in Anbetracht der aussichtlosen Gesamtsituation noch kämpften, dafür waren sie wohl noch zu jung. Hätten sie das Angebot unterzutauchen angenommen, könnten sie vielleicht heute noch am Leben sein.


Weiter: Die drei Hitlerjungen aus Sachsen
Zurück: Das Kriegsende in Eidenberg Limitation der Nachforschungen / Zu den Angaben auf der Grabtafel

Anmerkungen:
(60) http://de.wikipedia.org/wiki/Volkssturm. 15.1.2014.
(61) http://de.wikipedia.org/wiki/Hitlerjugend. 15.1.2014.
(62) http://de.wikipedia.org/wiki/Hitlerjugend. 15.1.2014.
(63) Winkler F. Längst vergessen. Erinnerungen von Zeitzeugen. Eidenberg 1999. Seite 56.
(64) http://www.dhm.de/lemo/forum/kollektives_gedaechtnis/416/index.html
(65) Mitteilung von Vzlt. Othmar Rittenschober, Linz, vom 21.2.2014.
(66) http://de.wikipedia.org/wiki/Hitlerjugend. 15.1.2014.nach oben