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Berta Schneidergruber, geb. Brunner
erzählte verschiedene G´schicht´n, Tochter Brigitta Doppler schrieb auf

Das 16. Kind
Weltkrieg 1914–1918 u. Kindheitserinnerungen
Kindsdirn
Schulzeit
Das goldene Rössl
D´ Zülli kimmt
Dienst in Linz


Brigitta Doppler, geb. Schneidergruber
Erinnerungen aus meiner Kindheit in Rohrbach und Herzogsdorf.


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Das 16. KindD´Zülli kimmt      Dienst in Linz


Meine Schwester Mitzi hatte mir in Urfahr in einem Gasthaus mit Fleischhauerei einen Dienstposten verschafft. Zuerst war ich recht erfreut, von dem Bauern, wo ich als Dirn gearbeitet hatte, wegkommen zu können. Doch ich wurde furchtbar enttäuscht. Ich war erst 16 Jahre alt und musste um halb fünf Uhr früh mit einem Wagerl zum Markt fahren, über die Eisenbahnbrücke bis zum Hafen. Obwohl ein großer Hund vor das Ziehwagerl gespannt war, fürchtete ich mich sehr, es war ja noch stockfinster. Der Wagen war auf der Rückfahrt sehr schwer, wenn er voll mit Fleisch war, oft ein halbes Kalb und ein halbes Schwein. Danach musste ich im Gasthaus helfen, putzen und Gäste bedienen. Im feuchten Keller in dem Kammerl, in dem ich schlafen musste, verschimmelte meine ganze Wäsche.

Meine Schwester Martina, die mich eines Tages besuchte, war entsetzt über diese Zustände. Sie schenkte mir ein paar Kleidungsstücke und Schuhe, denn meine waren unbrauchbar. Ich war froh, dass sie mir zu einem anderen Dienstposten verhalf, wo ich zwar auch sehr schwer arbeiten musste, aber doch unter besseren Bedingungen. Die Schwester meiner damaligen Chefin hätte mich sogar gerne nach Amerika mitgenommen, wohin sie auswanderten, aber meine Eltern und Geschwister waren dagegen und so bekam ich keine Reisegenehmigung. Ich wäre gern ausgewandert, denn zuhause waren die Arbeitsbedingungen äußerst schlecht.

Fast jeden Tag kamen Arbeitslose, darunter auch Männer, die studiert hatten, trotzdem keine Arbeit fanden und die nur ums Essen und Schlafen arbeiten wollten.

Dann trat ich eine Stellung bei einem Herrn an, dem ich den Haushalt führen musste. Er hatte eine schwere Darm-Operation hinter sich und ich musste ihn täglich verbinden.

Einmal hatte ich einen Topfenstrudel wie üblich mit Zucker gemacht, da schimpfte er mich fürchterlich aus, weil er ihn nur ungezuckert wollte. Die anderen Leute im Haus hörten ihn toben und trösteten mich. Sie hatten sich schon gewundert, dass ich es bisher überhaupt so lange bei ihm ausgehalten hatte, alle früheren Mädchen waren schon nach ein paar Tagen fortgelaufen. Ich blieb aber doch dort, denn er tat mir Leid und ich hatte schon schlechtere Posten gehabt. Er war zu sparsam, um die ganze Wohnung zu heizen, sodass ich manchmal meine eiskalten Füße ins Backrohr steckte, um mich einigermaßen zu erwärmen.

Einmal kam er nach Hause und hatte einige Krebse gekauft, die ich ihm zubereiten sollte. Sogar ein Krebsbesteck hatte er angeschafft. Ich stellte den Kübel mit den Schalentieren vorläufig ins Badezimmer und wollte mich erkundigen, wie man sie kocht. Am nächsten Tag rührten sie sich nicht in ihrem Kübel. Ich sagte meinem Herrn, dass sie eingegangen wären, und warf sie in die Mülltonne, wo sie am nächsten Tag frischfröhlich herumkrabbelten. Schnell schüttete ich Müll darüber und warf den Deckel wieder zu.

Ich hoffe, sie sind irgendwo in einen Bach und in die Freiheit gelangt. Das Krebsbesteck haben wir nie benützt.

Eines Tages war plötzlich über Nacht in unserem Haus eine Wohnung, in der eine jüdische Familie gewohnt hatte, leer. Da ich mich mit der freundlichen Frau öfters unterhalten hatte, erkundigte ich mich bei der Nachbarin, aber die konnte mir auch nicht sagen, wohin die Leute gezogen waren. Sie riet mir nur, niemand anderen mehr nach ihnen zu fragen, so weiß ich bis heute nicht, was aus ihnen geworden ist und ob ihnen die Flucht vor den Nazis gelungen ist. Kurz darauf zogen fremde Leute in die Wohnung ein.

Meine Freundin überredete mich einmal, am Sonntagnachmittag mir ihr in ein bekanntes Ausflugsgasthaus mitzukommen. Dort wollte sie ihren Freund treffen, der beim Bundesheer war, doch der war nicht alleine, sondern mit seinem Freund gekommen. Der gefiel mir in seiner Uniform, und obwohl er sehr zurückhaltend und eher schweigsam war, wurde es ein angenehmer Nachmittag. Wenn wir frei hatten, trafen wir uns wieder und in den nächsten Monaten lernten wir uns näher kennen. Mein Dienstherr war ziemlich enttäuscht, als ich ihm mitteilte, dass ich Hans im August heiraten werde.

Mein Verlobter Johann Schneidergruber und ich wurden am 25. August 1938 in Rohrbach vom Bezirkshauptmann getraut. Am Abend musste mein Ehemann jedoch wieder in der Kaserne sein, weil er schon seinen Bereitstellungsschein hatte.

Kirchlich getraut wurden wir am 28. August 1938 in der Stiftskirche St. Florian von seinem Onkel, dem Stiftsdechant Prof. Dr. Gottfried Schneidergruber.

Der Tag war ein völliges Fiasko für mich, denn zuerst verfehlten wir die Angehörigen meines Mannes aus Reichraming, Vater, Bruder Karl und Schwägerin Liesl, weil Reichsverweser Horthy mit einem Sonderzug nach Linz gekommen und deshalb der Bahnhof abgeriegelt war und die anderen Reisenden auf andere Bahnsteige umgeleitet wurden.

Dann bekamen wir kein Taxi und mussten mit der Straßenbahn und der Florianer Bahn nach St. Florian fahren. Die Trauung selbst war sehr feierlich, ich hätte zwar gern in einem weißen Kleid geheiratet, aber Mutter und einige Geschwister waren dagegen. So hatte ich mir ein elegantes Kostüm gekauft, das ich auch später, als es nichts mehr zu kaufen gab, noch oft tragen konnte. Als wir anschließend alle essen gehen wollten, erklärte mein Bruder Toni, dass er für meine Verwandten, Vater, Zenzi und Rosi, Zirkuskarten hätte, und so gingen sie lieber in den Zirkus, als mit mir zu feiern. Hans wurde immer schweigsamer, ein Zeichen, dass er furchtbar verärgert war, und nachdem wir seine Verwandten zum Zug nach Reichraming begleitet hatten, fuhren wir ziemlich verstimmt nach Hause.

In Rohrbach, wo Hans inzwischen beim Bezirksgericht Dienst machte, hatten wir in Berg bei einer Frau Mottl eine kleine Wohnung gemietet. Eines Tages hatte sich die Frau bei der Arbeit die Finger fürchterlich gequetscht. Ich hörte sie schreien und schiente und verband die Finger, so gut ich es konnte. Später sagte ihr der Arzt, dass ich ihr dadurch die Finger gerettet habe, denn er hätte sie amputieren müssen. Sie war mir sehr dankbar und ich war sehr stolz, im richtigen Augenblick richtig gehandelt zu haben.

Später mieteten wir eine größere Wohnung direkt im Zentrum von Rohrbach. Gleich zu Kriegsbeginn musste mein Mann einrücken. Ich fuhr, obwohl ich hochschwanger war, nach Wegscheid und kaufte noch schnell Möbel für ein Wohn- und Speisezimmer, die wir heute noch haben. Da ich in Rohrbach völlig auf mich alleine gestellt war, fuhr ich kurz vor meinem Entbindungstermin nach Herzogsdorf, wo meine Tochter Brigitta am 4. Okt. 1939 um dreiviertel neun Uhr in der Wohnung meiner Schwester Resi im Gemeindehaus Herzogsdorf 13 zur Welt kam. Das Kind war sehr klein und hatte Atemnot, deshalb brachte man es noch am selben Tag zur Taufe. Von Resi und meinem Schwager Fritz musste es die ganze erste Nacht betreut und abgesaugt werden, weil es zu ersticken drohte. Doch dann erholte sich mein Mädchen und ich konnte wieder nach Rohrbach zurückkehren. Mit neun Monaten hatte es eine schwere Mittelohrentzündung, meine Schwester Rosi kam und half mir, die schreiende Kleine die ganze Nacht herumzutragen und zu beruhigen, bis endlich am Morgen Eiter aus ihrem Ohr floss. Mein Mann war einige Male auf Urlaub zu Hause, sonst war ich mit dem Kind immer allein. Da die Feldpost oft sehr lange dauerte, wusste ich nicht, wo er gerade war. Außerdem durften sowieso keine genauen Ortsangaben gemacht werden, um Spionage auszuschließen. Manchmal waren ganze Sätze schwarz durchgestrichen.

Wenn unser Nachbar Geige spielte und unterrichtete, konnte ich im Radio unter einer Decke den Schweizer Sender abhören. Das war verboten und sehr gefährlich. Unser Haus lag direkt neben der Pöschl-Lederfabrik, bei Fliegeralarm wurden wir von der Sirene fast aus dem Bett geworfen. Dann mussten wir in den Keller gehen, wo wir angstvoll auf die Entwarnung warteten.

Am 5. April 1944 wurde dann unser Sohn Gottfried in Linz im Allgemeinen Krankenhaus geboren.

Taufe von Gottfried

Foto rechts:
Taufe von Gottfried Schneidergruber, geb. am 5. April 1944. Personen v.l.n.r.: Brigitta, Tanta Rosa, Mama, Papa



Täglich hatten wir Fliegeralarm und mussten in den kalten Luftschutzkeller gehen. Die armen Kinder wurden in Körben hinuntergetragen. Obwohl der Bub so kräftig war, bekam er eine Lungenentzündung. Nach der Taufe, zu der mein Mann noch Urlaub bekommen hatte, musste er wieder nach Frankreich an die Front. Danach sah ich ihn zwei Jahre nicht mehr und hatte ständig Angst um ihn.

Irgendwie wurde ich in Rohrbach nie heimisch. Keinem Menschen konnte man trauen. Als Kirchengänger wurde man aufgeschrieben und auf die schwarze Liste gesetzt. Alles wurde kontrolliert, sogar das Essen. Einmal, als ein Eintopftag angeordnet wurde, wusste ich nicht, wie ich einen Eintopf machen sollte. Mein Erdäpfelgulasch, das ich aus meinen geringen Vorräten gemacht hatte, bestand aber die Kontrolle – es war in „einem Topf“. Mir war aber nach der Kontrolle der Appetit vergangen. Als ich merkte, dass der Krieg zu Ende ging und ich seit einem Jahr keinerlei Lebenszeichen meines Mannes hatte, übersiedelte ich mit Brigitta und Gottfried nach Herzogsdorf zu einem Bauern in zwei winzige Zimmer, die vorher Hühnerstall gewesen waren.

Dort erlebten wir das Kriegsende und ich danke heute noch dem Herrgott, dass wir nicht mehr in Rohrbach waren, denn die „tapferen Nazi“ hatten den Ort so lange verteidigt, bis er teilweise zerschossen, verbrannt und in Trümmern lag, unter anderem auch unsere Wohnung, in der noch ein kleiner Teil unserer Möbel war, die wir der Flüchtlingsfamilie überlassen hatten, die man bei uns einquartiert hatte. Als die„Helden“ dann merkten, dass alles verloren war, flohen sie in einem Flugzeug, das bei Neudorf abstürzte. Beim Einmarsch schossen es dann die Amerikaner in Brand, worauf das ganze Dorf abbrannte. Eine mit uns entfernt verwandte Bauersfamilie verlor dadurch Hab und Gut und wurde obdachlos. Die heldenhaften Vaterlandsverteidiger aber waren weitergeflohen und untergetaucht.

Da saß ich nun mit zwei kleinen Kindern bei einem Bauern in einer winzigen Wohnung ohne Klo, ohne Strom und hatte keine Ahnung, ob mein Mann noch lebte.

Inzwischen waren die Amerikaner durchgezogen, hätten das Dorf beinahe niedergeschossen, weil sie glaubten, deutsche Soldaten wären noch in den drei Bauernhäusern versteckt. Unsere Wohnung wurde als Hauptquartier beschlagnahmt und wir mussten mit den anderen Hausbewohnern in der oberen Stube schlafen. Gottfried habe ich auf dem Fußboden gewickelt, weil ich keinen Tisch hatte.

Nach den Amerikanern kamen die Russen, die bei uns friedlicher waren als in anderen Gegenden, sie haben im Gegensatz zu den Amerikanern nichts gestohlen. Ich habe Amerikaner gesehen, die bis über den Ellbogen hinauf eine Armbanduhr neben der anderen hatten. Den letzten Salat haben sie aus unserem Garten geholt.


Am 6. April 1946, Gottfried war zwei Jahre alt, Ostern stand vor der Tür, versuchte ich vergeblich, bei den umliegenden Bauern Eier und sonstige Lebensmittel zu hamstern. Einige Leute, die von der Haltestelle kamen, sagten zu mir:„Du, wir glauben, wir haben deinen Mann gesehen, er ist zum Windner gegangen mit deiner Schwester, der Zenzi!“ So schnell bin ich noch nie heimgeradelt und tatsächlich war er da! Abgemagert, in einer schwarzen Uniform mit einem aufgemalten weißen PW, aber heil und ganz. Ich war froh und unsagbar glücklich.

Wir haben das Zusammenleben, den Frieden und die Ruhe im Dorf genossen.

Leider dauerte unser Glück nicht sehr lange, denn der Plan-Posten beim BG Kremsmünster war bereits besetzt, so musste er überall dorthin pendeln, wo gerade jemand krank oder auf Urlaub war, von Steyr nach Weyer, von dort nach Grünburg usw. Nach den Erlebnissen während des Krieges und der anschließenden Gefangenschaft war das bei den damaligen Verkehrsverhältnissen eine fürchterliche Strapaz und er war wieder die ganze Woche, oft auch zwei Wochen fort. Erst zwei Jahre später bekam er einen Posten beim Bezirksgericht Linz-Nord in Urfahr und konnte täglich nach Hause fahren. Das hieß eine halbe Stunde zur Haltestelle gehen, im Winter oft über kniehoch im Schnee, ca. eineinviertel Stunden Bahnfahrt mit der Mühlkreisbahn, den ganzen Tag Dienst und am Abend die gleiche Strecke retour. Kein Wunder, wenn er oft erschöpft und grantig war. Außerdem war unsere Wohnsituation auf die Dauer untragbar und wir mussten dringend eine Lösung finden.

Weil unsere Rohrbacher Wohnung kaputt war und mein Mann inzwischen in Urfahr arbeitete, versuchten wir, in Linz eine Wohnung zu finden. Aber nach dem Krieg gab es so viele Bombengeschädigte, dass wir es aufgaben.

Durch Zufall fanden wir im Jahr 1949 in Rottenegg ein Grundstück mit einer Hausruine, das wir von der Republik Österreich kaufen konnten, weil die vorherige Besitzerin ohne Erben gestorben war. Unter großen Strapazen haben wir uns ein Häuschen gebaut und endlich eine neue Heimat gefunden.


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"Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus"
ein wissenschaftliches Großprojekt des Landes

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