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Zeitzeugenberichte

Vertrieben 1945 aus Südmähren

Einleitung
Meine Familie
Mein Heimatort Prittlach
Krieg 1939–1945
Rückzug der Deutschen; Höhlen als Verstecke; Kämpfe. April 1945
Erste Vertreibung
Der Leidensweg nach der Rückkehr nach Prittlach
Zweite Vertreibung
Stationen in Niederösterreich 1945–1946
Wilhelmsdorf bei Poysdorf
Waltersdorf
Eibistal
Wetzelsdorf
Grosskruth


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Rückzug der Deutschen;
Höhlen als Verstecke; Kämpfe. April 1945
Erste VertreibungKrieg 1939­1945

Wir wussten vor Kopflosigkeit nicht, wie wir uns vor der drohenden Gefahr schützen konnten. Wir gruben in die Gstetten Höhlen zum Verstecken, vergruben die wichtigen Gegenstände, verteilt, damit nicht alles auf einmal gefunden werden konnte, es wurden in leeren Weinfässern Kleidung, Wäsche, schönes Geschirr usw. vergraben. Ebenso Schnaps, Lebensmittel, alles wurde nachher gefunden, es nützte wenig.

Als die Front immer näher kam, die Bahnlinie Hohenau–Lundenburg Richtung Brünn wurde von den wenigen deutschen Soldaten so lange gehalten, dass die Russen nachher nicht glauben konnten, nur so wenigen mit ihrer großen Übermacht gegenübergestanden zu sein. Über uns flogen die Geschoße, Stalinorgeln genanntes Gedröhne.

Wir übernachteten in den Kellern, die in der Weinberge-Richtung waren, das ganze Dorf war leer. Matratzen, Stroh, alles blieb zusammen, fast eine Woche. Auf einmal völlige Stille, wir wussten, die deutschen Soldaten, unsere Beschützer, waren weg, trotzdem verließen wir die Verstecke und jeder ging in sein Haus oder viele zusammen in Häuser um sich vor den Russen zu verbarrikadieren. So auch meine Mutter mit uns beiden Kindern, meine Tante mit einem halbjährigen Säugling und die beiden Großeltern Friedrich und Elisabeth, in das Haus, welches am meisten Schutz bot, Nr.59.

Vorher ging meine Mutter noch in unser Wohnhaus Nr.201, um verschiedene Sachen zusätzlich mitzunehmen, wenn wir dieses allein stehen ließen. Meine Tante, die mit dem kleinen Kind, war nur einige Häuser entfernt, ich sollte ihr noch was zusammenpacken helfen. Sie hatte allein Riesenangst.

Jetzt kamen aber bereits die ersten Horden, es waren mongolenähnliche Soldaten. Sie drangen ins Nachbarshaus ein, hier lebte die Rebafka-Großmutter meiner Freundin Grete. Es gab ein fürchterliches Geschrei, wir sahen durch ein kleines Fenster in den Nachbarshof, wie die arme Frau um ihr Leben lief, Russen hinter ihr nach, dann hörten wir noch Schüsse. Meine Tante schickte mich mit dem Auftrag heim, meine Mutter schnell zu holen, damit wir gemeinsam in das Großelternhaus laufen. Ich musste nun an dem Haus der alten Frau vorbei, das Vorhaus stand offen und sie lag tot in ihrem Blut.

Als ich nach Hause kam, traf ich meine Mutter völlig aufgelöst und weinend an. Inzwischen hatte sich hier Folgendes ereignet. Die Mutter meiner Freundin Grete hatte eine Ukrainerin als Haushilfe, die Stasi, sie lebte seit ca. einem Jahr in der Familie, ein ganz junges Mädchen, welches mit uns noch gerne mit den Puppen mitspielte. Diese Ukrainer waren die erste Zielscheibe der Russen, welche sie Verräter nannten. Dieses arme Wesen schlug an unser Haustor und rief um Hilfe, als meine Mutter öffnete, stürzten hinter ihr noch einige Mongolen herein und stellten sie an die Wand. Meine Mutter wollte sie verteidigen, worauf sie auch meine Mutter dazustellten. Mein Bruder, der erst knappe sieben Jahre war, musste alles mitansehen. Meine Mutter sagte nur immer: "Um Gottes Willen, du sprichst ja Russisch, sage doch, dass wir nichts verbrochen haben", aber es war alles sinnlos, die Gewehre wurden schon geladen, plötzlich ging das Haustor auf und die Rettung kam herein.

Ein großer, blonder Russe, der die Soldaten anschrie, meine Mutter in reinem Deutsch um Entschuldigung für dieses Vorgehen bat und fragte, wie es zu dieser Situation gekommen sei. Als er sich alles angehört hatte, sagte er, es wäre nichts mehr zu befürchten, und schickte mit einigen wütenden Kommandos die Mongolen weg. Auf die Frage meiner Mutter, wo er so gut die deutsche Sprache gelernt hätte, sagte er: "Meine Mutter und Großmutter waren Deutsche." Meine Mutter bedankte sich für diese Lebensrettung und bat noch zu helfen, dass wir, die Tante und ihr Kind in das Haus der Großeltern unbeschadet kommen konnten, diesen Schutz nahm er auch noch vor. Meine Mutter hat diesen "Rettungsengel" noch viele Jahre in ihr Gebet mit eingeschlossen.

Jetzt ging aber erst die richtige Besetzung des Ortes an. So breit und lang die Straße war, wir sahen direkt der einmarschierenden Soldatenhorde entgegen, kam Ross und Wagen daher. So dicht, dass die nachfolgenden Pferde des Wagens ihren Kopf auf den Vorderwagen legen mussten. Hier vor dem Haus Nr.59 teilte sich die Straße hinunter in die Herrengasse und hinauf zur Kirche und Schule. Das Haus meiner Großeltern bot sich sofort zum Einzug an und so musste mein Großvater sofort öffnen, das Hoftor wurde fast schon hereingebrochen. Das Dorf war ein sogenanntes Straßendorf wie im niederösterreichischen und burgenländischen Raum üblich und hatte einen sehr großen Innenhof, Obstgarten und als Abschluss eine Scheune.

Alles war voller Pferde und Wägen und Russen, vorher waren noch alle weiblichen Wesen in das schon erwähnte Verlies geflüchtet. Wir wurden sofort in den Stall gejagt, man richtete hier die russische Kommandantur ein. So vergingen ca. drei Wochen. Meine Oma musste für die Russen waschen und bügeln und ging dann mit Bitten und Betteln an den Gulaschkanonen vorbei und zeigte auf uns hungrige Kinder. Es war alles sehr karg, es gab noch keine frische Ernte von Obst, die Enten, Gänse und Hühner, alles, was zu verspeisen war, wurde geschlachtet, nur die Kühe ließ man noch wegen der Milch. Dabei musste meine Großmutter das Hasardspiel vollbringen, den Frauen im "Kerker" Essen zuzustecken und Abfälle zu beseitigen. Sie ging dabei durch ein großes Presshaus, viele Fässer und Bottiche und dabei hustete sie immer entsetzlich, das war das Erkennungszeichen. Nicht auszudenken, wenn die Russen dieses Versteck gefunden hätten.

Wir Kinder wurden von den Russen gefragt: "Wo Mama?" Man hatte uns schon eingetrichtert, was zu sagen war: "Mama Wien, Spital, Bomben" und dazu weinte meine Grossmutter und wir auch mit ihr. Wir wussten, wenn man die Frauen findet, so sagte man uns Kindern, "werden sie erschossen". Und da hatten wir eine Riesenangst. Besonders, wenn man mitbekam, dass Frauen über Zäune sprangen und Russen hinterher, wir Kinder sagten dann, jetzt werden schon wieder welche "erschossen"...

Das Plündern, Vernichten, Morden und Vergewaltigen war jetzt an der Tagesordnung, wir waren in einer Weingegend und dies war für derartige Vorgänge noch schlechter, die Russen waren ständig betrunken. Wir hatten einen Weinkeller mit vollen Fässern, da wurde in die Fässer hineingeschossen, Kübel untergehalten und der Rest lief aus. Als meine Mutter dies hörte, wollte sie aus dem Versteck, man watete im Wein. Es wurden viele Leute umgebracht, es ist alles aufgelistet, sie wurden tagelang liegen gelassen, niemand traute sich sie zu begraben. Das Haus gegenüber meinen Großeltern wurde eines Nachts in Brand gesteckt, es traute sich niemand hinaus zum Löschen, mein Großvater wurde mit Schüssen zurückgetrieben.

Das Haus brannte komplett nieder, diese Feuernacht war eines der grausigen Erlebnisse, der starke Wind trieb die Funken auch auf das Großelternhaus und wir glaubten nicht mehr heil davonzukommen.

Aber vorweg muss ich noch sagen,dass die Russen nach ca. drei Wochen das Haus verließen, es gab verschiedene Truppenbewegungen und andere Standorte und so waren wir wieder von der ärgsten Last befreit. Das hieß aber nicht, dass die nächtlichen Einbrüche und Plünderungen aufgehört hätten.

Eine Freundin meiner Mutter wurde bei der Flucht über Zäune und Häuser von acht Russen erwischt und vergewaltigt, eine namentlich auch meiner Mutter bekannte junge Frau 42-mal, das nicht auf einmal, die meisten waren neun. Eine junge Frau versteckte sich in ihrer Not in einem Getreidebottich-Silo und erstickte darin. Meine Mutter war nun aus dem "Kerker", als plötzlich Russen eindrangen, sie lief nur schnell auf den Heuboden, sie suchten Frauen und auch dort, wo sie versteckt war, dabei hatten sie lange Spieße, die zentimeterknapp neben Dachsparren bei ihr vorbeistachen.

Die Frauen waren dann zu allem Übel noch geschlechtskrank und fanden keine medizinische Hilfe, erst viel später kam in Wien eine ärztliche Versorgung zustande.

Ich schreibe dies deshalb, weil auch nach der Vertreibung in Niederösterreich dieselben Schandtaten weitergingen und besonders arg, weil sich die Frauen nicht auf die Felder trauten, es sollte aber in dieser Not etwas angepflanzt werden. Dazu könnte ich noch einige Kapitel schreiben, was ich noch in Erinnerung habe, von unseren Aufenthalten nach der zweiten Vertreibung in Waltersdorf, Eibistal, Wilhelmsdorf, Wetzelsdorf, Großkruth, das waren Stationen von 1945 bis 1946, wo wir eine kurze Bleibe fanden, dann kamen wir in die amerikanische Zone nach OÖ.


Eine Begebenheit noch, die mich als Kind selbst betraf, dann schließe ich das Kapitel "Russen" ab.

Ein höherer Russe kam, nachdem das Haus schon von seinen "Landsleuten" geräumt worden war, wieder und begehrte Einlass. Er verlangte nach dem kleinen Mädchen, nach mir. Mein Großvater, der Tschechisch sprach (ich erkläre dies noch), sagte, er wisse nichts von dem Kind, das muss vom Nachbarn sein, da kam ich aber vom Hof herein. Sofort nahm mich der Russe in den Arm, setzte sich auf einen Sessel und sprach freundlich mit mir, aber russisch. Er erklärte, dass er mich nach Russland mitnehmen wird, er habe auch zwei Kinder und da passe ich dazu. Meine Großeltern traf fast der Schlag. Mein Großvater verwickelte ihn in Gespräche, damit er mich loslassen sollte, aber er gab nicht auf. Er hielt mich ständig am Schoß, ich fing schon zu weinen an, unbewusst war ich in Panik, er sagte, es wird mir schon gefallen in Russland, er stand nun auf und zog mich mit. Meine Großmutter hatte inzwischen meiner Mutter im "Kerker" die Sachlage erzählt, diese wollte mit Gewalt heraus. Da kam meinem Großvater die rettende Idee: Ich sollte sagen, ich müsse dringend austreten. Als ich das sagte, ließ er mich frei, ich lief Richtung Klosett, meine Grossmutter hinterher und mit mir ans andere Ende des Dorfes, schleifte mich richtig hinterher zu einer Familie Anderlik, Eltern meiner Tante.

Dort verblieb ich drei Tage. Der Russe kam täglich und wollte mich abholen, Großvater blieb immer bei der Version, es ist ein fremdes Kind, welches nur hin und wieder spielen kommt. Die Situation war prekär, der Russe drohte jeden Tag an, wenn ich nicht am nächsten Tag da wäre, würde er Großvater zur Zwangsarbeit abtransportieren.

Am vierten Tag kam er jedoch nicht mehr und ich bin heute noch meinen armen Großeltern für diese Hilfe dankbar und auch, dass Friedrich Opa nicht verschleppt wurde. Man stelle sich diese ewige Schuld vor.


Zu den Tschechischkenntnissen meines Großvaters.

In der Monarchie war es im böhmisch-mährischen Raum üblich, dass in den Ferien die Kinder "auf den Wechsel" kamen, d. h., mein Grossvater kam in ein tschechisches Dorf und der Sohn dieser Leute auf den deutschen Bauernhof, so lernten die Kinder die andere Sprache kennen. Mein Großvater machte dies einige Male und sprach immer Zeit seines Lebens mit großer Hochachtung von seinen "tschechischen Eltern". Auch die kaiserlichen Regimenter im I. Weltkrieg waren gemischt und man konnte sich unter Kriegskameraden gut verständigen.

Das "Hausregiment" des Kaisers war das 99-er Regiment, gemischt aus dem mährischen Raum, durfte auch die Wache in Schönbrunn stellen, wo mein Großvater sehr stolz darauf war, in dem Schilderhäuschen Dienst tun zu dürfen.

Und den 99-er Regimentsmarsch sang er mir als Kind immer vor. "Hoch 99, tapfres Regiment, das unsre Feinde mutig niederrennt, hoch gelbe Teufel, zu Haus in Brünn und Znaim, Österreich, sei ruhig, wir schützen unser Heim."

(Dies zur Auflockerung.)


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"Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus"
ein wissenschaftliches Großprojekt des Landes

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