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Um Jugend und Leben betrogen

Das bedrückende Schicksal von drei deutschen Teenagern im Mühlviertel zu Ende des zweiten Weltkriegs

Wieviel wert ist ein Menschenleben?
Limitation der Nachforschungen
Zu den Angaben auf der Grabtafel

Das Kriegsende in Eidenberg
Das letzte Aufgebot, Volkssturm und Hitlerjugend

Die drei Hitlerjungen
aus Sachsen:

Erich Erhard Brandt
Eugen Walter Menzel
Paul Martin Fritz Galle

Ungeklärte Fragen und Widersprüche:
Feststellung der Identität

Truppenzugehörigkeit
Die SS-Angehörigkeit
Desertion bei Traun
Schlussfolgerung

Das Waldgrab in der Kühhalt

Die Umbettung 1968
Die letzte Ruhestätte
Ein pikantes Detail am Rande
Schlussbemerkung
Danksagung

Voraussetzungen für die Aufnahme in die SS-Totenkopfverbände und die SS-Verfügungstruppen
(Waffen-SS)

Voraussetzungen für die Aufnahme in die SS-Totenkopfverbände und die SS-Verfügungstruppen
(Waffen-SS)

Voraussetzungen für die Aufnahme in die SS-Totenkopfverbände und die SS-Verfügungstruppen (Waffen-SS). Quelle: http://www.lha-rlp.de/index.php?id=191

Ungeklärte Fragen und Widersprüche:

Die SS-Angehörigkeit

Da die Bezeichnung „Luftwaffenhelfer“ möglicherweise auf der Ausbildung von Erhard Brand zum Flak-Helfer beruht, aber ansonsten offensichtlich falsch – weil vom Alter her gar nicht denkbar – ist, muss auch die angebliche SS-Angehörigkeit der drei Hitlerjungen näher beleuchtet werden. Wie aus dem Brief der Pfarre Doberschütz vom August 1947 hervorgeht, sollen die drei Hitlerjungen in Traun die Anmeldescheine für die SS bekommen haben. Die Chronik der Pfarr-Expositur Eidenberg spricht von „SS-Soldaten“.(95) Da diese Information nur von Eidenberg aus nach Doberschütz gelangt sein konnte und im Brief daher lediglich wiedergeben wurde, ist der Sachverhalt zu hinterfragen.

Aufnahmekriterien für Waffen-SS und Deutsche Polizei.

Aufnahmekriterien für Waffen-SS und Deutsche Polizei. Quelle: http://www.lha-rlp.de/index.php?id=191

Dem Heimatforscher und Museumskurator von Traun, Ing. Georg Sayer ist kein SSRekrutierungsbüro in Traun bekannt. Es gab jedoch SS-Truppenteile in Traun. Die Gendarmerie Traun protokollierte im April 1945: Anfangs April übersiedelte das Luftgaukommando XVII von Wien nach Traun, nachdem in Wien die Russen bereits einmarschiert waren. Dies hatte zur Folge, dass Traun von Militär überfüllt wurde. Dieser Zustand hielt bis zur Kapitulation an. Am 5. Mai um 14 Uhr trafen die ersten Spitzen der amerikanischen Truppen in Traun ein. Die SS, die die einzelnen Stützpunkte und Zufahrtsstraßen noch immer besetzt hatte, zog sich zurück, sprengte aber noch vor dem Abzug die über die Traun führende Betonbrücke.(96)

Eine SS-Kaserne bestand in Ebelsberg, was von Traun nicht weit entfernt liegt.97 Dort waren jedoch schon seit 1940 keine Truppen oder Truppenteile mehr disloziert. Die in Eidenberg eingesetzten SS-Einheiten standen daher in keinem Zusammenhang mit der Kaserne in Ebelsberg.(98)
Die drei Jungs trugen bei ihrem Tod keine richtigen Uniformen. Wenn sie fix zu der in Eidenberg eingesetzten angeblichen SS-Einheit gehörten, wären sie mit der restlichen Truppe im Pfarrhof verpflegt worden und hätten wohl auch hier Quartier gehabt. Doch sie streiften schon einige Tage vor ihrem Tod durch die Wälder rund um Eidenberg und baten Bauern um Verpflegung und Unterkunft.(99) Warum wären sie nicht mit der sich zurückziehenden SSEinheit abgerückt?

Dass die drei Hitlerjungen wirklich SS-Soldaten waren, kann so gut wie sicher ausgeschlossen werden. Vzlt. Othmar Rittenschober merkt dazu an:(100)
Es ist völlig undenkbar, dass ein vierzehn- oder fünfzehnjaÅNhriger Hitlerjunge in den „Schwarzen Orden“ aufgenommen worden ist. Das Mindesteintrittsalter bei Freiwilligenmeldung oder bei zwangsweiser Rekrutierung lag bei 17 Lebensjahren. Dass sich in den letzten Kriegstagen der „Novizen-Werdegang“ vom Staffel-Bewerber, Staffel-Jungmann, Staffel-Anwärter, Staffel-Vollanwärter zum SS-Mann (SS-Sturmmann) drastisch verkürzt hat, ist historisch belegt. Das Mindestalter von 16 1/2 Lebensjahren zur Freiwilligenmeldung wurde jedoch auch in der allerletzten Kriegsphase nicht unterschritten. Der immer wiederkehrende Verweis auf die SSZugehörigkeit der Hitlerjungen Brand, Galle und Menzel lässt sich nur mit deren Verwendung in einer von SS-Hauptsturmführer Oskar Wolkerstorfer in den letzten Kriegswochen aufgestellten „SS-Kampfgruppe Oberdonau“ erklären. Im Rahmen dieses Verbandes wurden durch SS-Führer und SS-Unterführer (die aus verschiedensten SSOrganisationen stammten) sogenannte „Panzerjagd- und Vernichtungstrupps“ befehligt. Diese aus zwei bis drei Mann bestehenden und mit „Panzerfäusten“ ausgerüsteten Trupps wurden an taktisch günstigen und den Einsatzschussweiten von 60 bis 100 Meter entsprechenden Geländeteilen zum Panzernahkampf eingesetzt.(101),(102),(103)
Ein Einsatz in sogenannten „Panzerjagdkommandos“ (in der Literatur auch „Panzervernichtungskommandos“ bezeichnet) kann weder ausgeschlossen noch belegt werden. Das Umherstreifen in den Wäldern und die fehlenden Uniformen lassen auf eine von GenMaj. Paul Wagner beschriebene Panzernahkampf-Formation schließen, die aus Angehörigen des Volkssturms (meist Hitlerjungen) gebildet wurden und im Rahmen von SSEinsatzkommandos agierten. Eine taktische Zugehörigkeit zur SS lässt sich dadurch ableiten. Hitlerjungen im Rahmen des Volkssturms als „SS-Soldaten“ zu bezeichnen, kann keinen Anspruch auf historische Richtigkeit erheben.

Wenn in dem Brief von Pfarrer Köppe aus Doberschütz von einem Anmeldeschein zur Waffen-SS geschrieben steht, den Erich Brandt in Traun bekommen haben soll, so wäre höchstens eine beabsichtigte Freiwilligenmeldung denkbar, denn eine definitive Anmeldung konnte erst im Alter von 16 1/2 Jahren erfolgen. SS-Soldat hätte Brandt aufgrund seines Geburtsdatums damit erst ab 9. März 1946 werden können. Wie schon zu bedenken gegeben bleibt unklar, ob die Information über eine Meldung zur Waffen-SS ursprünglich aus Doberschütz stammt, oder nachträglich von Eidenberg aus in den Brief des Pfarrers Eingang gefunden hat.

Einmal in die Welt gesetzt, zieht sich die angegebene SS-Zugehörigkeit durch alle weiteren Akten. Die Angehörigen wurden ja erst nach dem Krieg von Eidenberg aus über den Verbleib ihrer vermissten Kinder informiert, und ebenso wurde den Ämtern in Sachsen die in Eidenberg erhobene Information weitergeleitet. So liegt es auf der Hand, dass die Darstellung einer SS-Zugehörigkeit in den Brief der Pfarre Doberschütz eingeflossen ist, in Delitzsch der Dienstgrad SS-Soldat in die Kriegssterbefallanzeige von Walter Menzel übernommen wurde und auch der Umbettungsbericht des Oberösterreichischen Schwarzen Kreuzes alle drei Hitlerjungen als SS-Soldaten bezeichnet.(104) Lediglich die Deutsche Dienststelle Berlin („WAST“=Wehrmachtsauskunftstelle) verzeichnet als letzten Dienstgrad der drei Hitlerjungen „Soldat“,(105) und so steht es auch auf dem Grabstein auf dem Soldatenfriedhof im Jaunitzbachtal.


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Anmerkungen:
(95) Chronik der Pfarrexpositur Eidenberg, Band 1 (1912-1950).
(96) Mitteilung von Vzlt. Othmar Rittenschober, Linz, vom 22.2.2014.
(97) Mayrhofer F, Katzinger W. Geschichte der Stadt Linz, Band 2, Linz 1990. Seite 323.
(98) Mitteilung von Vzlt. Othmar Rittenschober, Linz, vom 21.2.2014.
(99) Winkler F. Unsere Heimat im Zweiten Weltkrieg. Rohrbach 2010. Seite 91.
(100) Mitteilung von Vzlt. Othmar Rittenschober, Linz, vom 25.2.2014 und 5.4.2014.
(101) http://de.wikipedia.org/wiki/SS-Bewerber#Staffel-Bewerber 25.2. 2014.
(102) http://www.forum-der-wehrmacht.de/index.php/Thread/16694-SS-Kampfgruppe-Oberdonau/ 5.4.2014.
(103) Hagen Berger. Panzerknacker. Grenadiere im Nahkampf gegen Kolosse aus Stahl. Seite 96.
(104) Unterlagen des Oberösterreichischen Schwarzen Kreuzes, Umbettungsbericht U.-Nr.206-208 vom 23. Juli 1968.
(105) Mitteilung der Deutschen Dienststelle Berlin, vom 13.2.2014.nach oben